Die erste Woche in Kenia

Monatelang habe ich darauf hingefiebert - und nun ist die erste Woche tatsächlich schon vorbei. Ich habe so viele neue Eindrücke, schon so viele Dinge erlebt und gesehen, dass mein Kopf nur schwerlich mit dem Verarbeiten hinterkommt. Diese Kontraste, die Kenia ausmachen, sind spannend, aber auch anstrengend. Dennoch war mir sehr schnell klar, dass es genau das ist, was ich wirklich machen wollte.

 

Am Sonntag, 8. Januar, bin ich in Nairobi gelandet. Schon auf der Fahrt zum Waisenhaus in Kianjogu in Kiambu County, rund 15 Kilometer nördlich von Nairobi, habe ich die ersten Zebras gesehen: nebst Esel und Kaninchen meine Lieblingstiere!

Ein Fahrer brachte mich zu meiner neuen Heimat auf Zeit: dem Mothers Mercy Home, einem Kinderheim, in dem 77 Kinder, hauptsächlich Aidswaisen, leben. Nach einer kurzen Ruhezeit für mich, habe ich die Kinder kennengelernt, wir haben zusammen Seilspringen und Federball gespielt und hatten viel Spaß zusammen. Die Verständigung klappt, außer mit den Dreijährigen, wunderbar, weil alle Kinder Englisch sprechen und auch der Schulunterricht auf Englisch stattfindet. Am Nachmittag wurden alle Kinder in den Lernraum gerufen, wo sie ohne Aufsicht lesen sollten. Das klappt natürlich überhaupt nicht, vor allem bei den Kleinen war totales Chaos. Also habe ich mich hingesetzt und habe den Jüngeren vorgelesen. Die Kids haben ruhig zugehört und wollten immer mehr und mehr hören. Nach dem Abendessen (daran muss ich mich noch gewöhnen, es gibt hier zu MIttag und Abend immer Ugali, Reis, Bohnen, Linsen und/oder Kraut - seeeehr langweilig und nicht gewürzt) habe ich das Sprungseil erneut ausgepackt und alle Kinder versammelten sich im Hof, wir spielten Spiele damit und es war eine riesige Gaudi!

 

Am Montag fing mein Alltag an. Um 6.20 Uhr fährt der Schulbus vom MMH zu den umliegenden acht Schulen, auf die die Waisenkinder gehen. Die Kids sind zu dem Zeitpunkt schon fast zweieinhalb Stunden wach, sie werden um 4 Uhr zum Lernen geweckt. Die Caroline School, an der ich mithelfe, liegt auf halber Strecke, gegen 6.45 Uhr sind wir dort angekommen. Die 15 Kids aus dem MMH sind dabei erst einmal auf sich alleine gestellt, denn so früh sind noch keine Lehrer da. Es ist "Reading Time", die Kids sollen eigentlich lernen, aber sowas funktioniert natürlich nicht, wenn keine Aufsicht da ist und es keine Vorgaben gibt. Inzwischen spiele ich morgens mit den Kids Federball oder Seilspringen oder wir lesen gemeinsam etwas, am ersten Tag haben mir die Kids das Schulgelände gezeigt, wir haben die Tiere (Kühe, Vögel, Hühner, Kaninchen, Ziegen, Hunde) begrüßt.

 

Eigentlich dachte ich, dass ich die ersten Tage hauptsächlich mitlaufe, um mir alles anzuschauen. Aber schon am ersten Tag kam ich zufällig vorbei, als eine Klasse ohne Lehrer war. Die Schüler baten mich, ihnen vorzulesen, was ich dann auch tat. So zog sich das durch die komplette erste Woche. Wenn ich nicht vorgelesen habe, habe ich mit ihnen übers Klima gesprochen oder ihnen von Deutschland erzählt. Außerdem habe ich immer die Klassen bespaßt, die auf einem Feld gegenüber ihre Freizeit genutzt haben. Eigentlich sollen sie dort mit Lehreraufsicht "Sport" machen und sich austoben, aber die Lehrer liegen meist faul in der Sonne und so konnte ich Federball, Seilspringen, aber auch Spielchen wie Tauziehen oder das Spiel aus dem Sportunterricht, wo zwei Teams gegeneinander antreten und ein Ball durch die Beine gegeben wird und der ganz hinten in der Reihe dann nach vorne läuft etc. gemacht. Ich hatte Spaß und war ausgepowert und den Kids hat es auch gefallen. Eine von den wenigen engagierten Lehrerinnen fand das Spiel mit den Beinen so lustig, dass sie es gleich am nächsten Tag wieder spielen wollte - ein großer Spaß!

 

Die Abende verbringe ich im Waisenhaus. Der Tagesplan der Kinder ist stark strukturiert, Freizeit gibt es werktags nicht. Nach dem Unterricht müssen wir rund 45 Minuten auf den Schulbus warten, dann geht es zurück. Um 17.30 Uhr sind wir im MMH, dann müssen die Kinder ihre Schuluniformen und Kleidung waschen und ihre Schuhe putzen. Um 18 Uhr gibt es Abendessen. Um 18.45 Uhr kommen die Nachhilfelehrer für anderthalb Stunden und alle Kinder müssen in den Gemeinschaftsraum, um Hausaufgaben zu machen, Stoff zu wiederholen oder sonst irgendwie zu lernen. Dann geht es ins Bett, immerhin werden sie ja schon um 4 Uhr wieder geweckt.

 

Obwohl die Kinder also quasi komplett mit Schule konfrontiert sind, während sie wach sind, ist der Ertrag doch sehr schlecht. Die Kinder sind in der Schule und auch außerhalb oft sich selbst überlassen. Lehrer kommen nicht oder sie kommen zu spät, ständig wird der Unterricht gestört, weil ein Kind, ein Lehrer oder sonst irgendjemand herein kommt, etwas sucht, etwas wissen will, etwas berichten muss. Manchmal gehen die Lehrer auch raus, um irgendwas zu klären. Generell gibt es eh nur sechs bis sieben Stunden Unterricht, wie bei uns auch, von 8.30 Uhr bis 10 Uhr, dann von 10.30 Uhr bis 12.45 Uhr (die Jüngeren sind dabei eine gewisse Zeit zum Toben auf dem Feld) und am Nachmittag von 14.30 bis 16 Uhr noch einmal zwei Stunden. Dazwischen sind die Kids eh auf sich alleine gestellt, Betreuung gibt es nicht - und wie gesagt fällt auch viel Unterricht aus.

 

Generell ist natürlich alles gewöhnungsbedürftig für mich. Mal gibt es keinen Strom (in meinem Zimmer saß ich bislang vier Abende komplett im Dunkeln), oft kein Internet, in der Schule kein fließend Wasser. Die Hygiene lässt zu wünschen übrig, immerhin essen die Kinder hier immer mit den Händen. Aber ich gewöhne mich tatsächlich daran, der Mensch ist anpassungsfähig. Auch die Fragen der Kinder sind nicht immer einfach zu beantworten. Von "Kannst du nicht meine Mama werden?" bis "Warum machen die Menschen einen Unterschied zwischen Weißen wie dir und Schwarzen wie uns?" ist alles dabei.

 

Wer nach Kenia kommt und die Welt retten möchte, der wird kläglich scheitern. Es sind einfach so viele Dinge, wo aus unserer deutschen Sicht anzusetzen wäre. Zum Beispiel lässt einfach jeder seinen Müll liegen, wo er gerade geht und steht. Vor allem entlang der Straßen in ärmeren Gegenden gibt es quasi durchgängig Müllhalden. Es stinkt und sieht einfach fürchterlich aus. Aber auch die Tierhaltung zum Beispiel ist grenzwertig. Da leben schonmal drei Kaninchen auf 50 Quadratzentimetern, und wenn die Kids sie herausholen, dann machen sie das, indem sie sie an den Ohren packen und herausziehen. Das tut schon beim Zusehen weh. Auch die Kühe, Schweine (im MMH haben wir Kühe, Schweine, Katzen, Kaninchen) und Ziegen sind sehr eingepfercht. Aber die Prioritäten liegen hier einfach anders, immerhin müssen die Kinder zuerst satt werden. Apropos satt werden: Es ist erstaunlich, wie viel Essen die Kinder in sich hinein stopfen, obwohl keines der Kinder dick ist. Ich esse meistens nicht einmal ein Fünftel von ihrer Portion und bin satt - und ich bin wahrlich kein schlechter Esser.

 

Am Mittwoch und Freitag war Besuch aus Deutschland hier, ein Pilot von Cargo, der Schulpate von meiner Schule ist . Das hatte für mich den Vorteil, dass ich an beiden Tagen ausschlafen konnte, weil er zunächst ins MMH kam, um sich nach dem Stand zu erkundigen und mit den Sozialarbeitern zu sprechen. Danach fuhren wir jeweils zusammen zur Caroline School, er hat sich den aktuellen Stand dort angeschaut und dann auch gesehen, was ich dort so arbeite. Am Mittwoch fuhren wir danach zusammen ins Einkaufszentrum Village Market in Nairobi, damit ich endlich mobil unterwegs bin in Kenia. Und da gab es für mich tatsächlich das erste Mal etwas Frisches zu essen, der Salat war herrlich!

 

Am Freitag waren der Pilot und ich schließlich bei seinem Patenkind nach Hause eingeladen. Ian ist Drittklässler und wohnt mit seiner Mutter, seinen drei Geschwistern und seinem Cousin (dessen Mutter, die Schwester von Ians Mutter, starb) in einer Wellblechhütte im Nirgendwo, die Hütte ist etwa zehn Quadratmeter groß. Es gibt nur ein Bett, dort schläft die Mutter mit den zwei Jüngsten. Die drei älteren haben Schlafsäcke und nächtigen auf dem Boden. Es gibt fließend Wasser, allerdings ist das nur ein Wasserhahn, der auf dem Nachbargelände steht - und 40 Leute versorgt. Strom gibt es nicht mehr, weil Ians Mutter ihre Arbeit verloren hat und die Stromrechnung nicht mehr zahlen konnte. Wir waren zunächst zusammen in einem "Supermarkt", der wenig mit den großen, modernen Märkten zu tun hat, die es hier auch gibt. Es war eine Wellblechhütte, in der es super eng war und es wichtige Sachen wie Hygieneartikel, Reis und Brot gab. Im Vergleich zu meinem Einkauf am Mittwoch war es hier natürlich super günstig. Dirk und ich hielten uns etwa eine Stunde bei Ians Familie auf, wir spielten Fußball und unterhielten uns. Es war vor allem für mich sehr eindrücklich, weil es mich doch noch einmal geerdet hat. Ich wusste, dass es sowas gibt - und ich weiß, dass es noch viel schlimmer geht, immerhin haben alle Geschwister von Ian einen Schulpaten, der ihnen die Schulgebühr bezahlt. Aber es ist dennoch schlimm anzusehen. Dabei ist es für die Menschen hier natürlich völlig normal. Über die Familie von Ian habe ich auch einen Beitrag im Lufthansa Mitarbeiter Magazin geschrieben.

 

Am Samstag begann mein zweites Projekt, wegen dem ich hier bin: Ich habe im Jugendzentrum John-Kaheni-Residence in Kiambu einen Social-Media-Workshop begonnen. Der Sozialarbeiter aus dem MMH hat mich begleitet, denn wir sind zusammen Matatu gefahren. Das ist gar nicht so einfach, weil alles kreuz und quer geht und sehr chaotisch ist. In dem Elfsitzer fanden bis zu 17 Menschen Platz, das war schon abenteuerlich. Ingesamt mussten wir viermal umsteigen - mal sehen, ob ich das in zwei Wochen hinbekomme, ohne irgendwo im Nirgendwo zu landen. Der Workshop lief sehr gut, die Jugendlichen haben mitgearbeitet und danach gab es sogar ein gutes Mittagessen: Spaghetti mit Spinat und Tomatensalat. Ich unterhielt mich noch ein wenig mit ein paar der Mädchen über Medien im Allgemeinen, aber auch über ihr Leben, während ich wartete, abgeholt zu werden. "Ich verstehe nicht, warum von außen so oft gedacht wird, ein Waisenhaus sei schlimm. Ich hatte Dutzende Schwester und Brüder, das war toll", hat ein Mädchen gesagt. Ja, vielleicht sollten wir unsere Sichtweise verändern.

 

Schließlich hatte ich am restlichen Wochenende das totale Kontrastprogramm zu dem eher ärmlichen Kenia, das ich die ersten Tage kennengelernt hatte. Ein Freund aus Frankfurt, der viele Wochen im Jahr in Kenia ist, um hier als Arzt zu helfen (und zwar im Medical Center auf dem MMH-Gelände), kam zu Besuch. Wir fuhren in den Mathaiga Country Club, einem super edlen Nobel-Club, in dem einst Karen Blixen geheiratet hat und in dem auch "Jenseits von Afrika" gedreht wurde. Sein kenianischer Gastgeber ist Mitglied und durfte uns mitnehmen. Wir saßen also am Pool, tranken frischen Saft und unterhielten uns über Kenia. Danach fuhren wir zu einem Bekannten, einem deutschen Auswanderer, der seit 30 Jahren in Afrika lebt. Er hat ein riesiges Grundstück, ein fantastisches Haus, und wir hatten Gin Tonic als Sundowner auf seiner Terrasse.

 

Die Nacht habe ich in einem der vielen Gästezimmer der kenianischen Gastgeber verbracht, sie gehören auf jeden Fall zum reicheren Teil der Kenianer. Dass ich dort schlief hatte einen guten Grund: Der Arzt und ich fuhren am Sonntagmorgen in den Nairobi Nationalpark - ein großes Stück Natur mit wilden Tieren direkt am Stadtrand von Nairobi. Man kann die Tiere mit Skyline im Hintergrund beobachten. Der Wahnsinn. Und wir hatten auch viel Glück und haben sehr viele Tiere gesehen. Generell standen an jeder Ecke verschiedene Antilopen, Gazellen, Strausse und Zebras, aber auch einige Giraffen, Gnus, Hippos, Krokodile, Affen, Paviane, Nashörner, Büffel, Warzenschweine, Adler, Marabus und Löwen haben wir gesehen. Obwohl es nicht meine erste Safari war und auch nicht die erste in Kenia, bin ich von diesem wundervollen Wildlife immer wieder total beeindruckt und geflasht. Es macht mich einfach sprachlos, die vielen Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu sehen und zu erleben. Abends stand dann der Ausklang des eher schicken Wochenends auf dem Programm: Zusammen mit ein paar Kenianern, Deutschen und Auswanderern war ich im Village Market in einer Pizzeria und hab es mir nochmal schmecken lassen. Immerhin wartet wieder eine Woche mit Ugali, Reis, Bohnen, Linsen und Kraut auf mich!

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Alibamboo (Montag, 16 Januar 2017 19:06)

    Sehr cooler Bericht.

    Zu der Frage: "Warum machen die Menschen einen Unterschied zwischen Weißen wie dir und Schwarzen wie uns?"

    Das hat Gott so eingerichtet, damit's leichter ist, die Idioten zu erkennen.


KONTAKT: 

TELEFON: 0177 2856802

MAIL: miriam.keilbach@gmx.de

Twitter: MiriamK86

Facebook